Jan und die Bürokratie!

Es war ein wunderschöner Spätsommer im Jahr 2002. In einem Kindergarten im schönen Schwabenland bastelten einige Kinder bunte Drachen und andere malten eifrig an den Bildern für meine Mutmachgeschichte vom Raben Viktor!  Voll Freude mit dabei Jan, ein Sechsjähriger, der aufgrund seiner Gehörlosigkeit Monate vor Projektbeginn operiert wurde und nun mit einem Implantat die Welt des Hörens entdeckte! Es war einfach wunderschön zu erleben, wie sich dieses Kind völlig neu in der Gruppe der malenden Kinder integrierte. Mit enormer Kreativität sprudelte er Ideen zu den vorgelesenen Texten heraus. Und dann war es soweit, im Mai 2003 war das Buch fertig. Bei der Präsentation strahlte Jan, als er sein, von ihm mit illustriertes  Buch, in Händen hielt.

Die Tränen seiner Mutter fasste ich als Freudentränen auf. Weit gefehlt!  Die Entscheidung zu der Operation war mit der Hoffnung verbunden, Jan in die Welt der Hörenden zu integrieren, gekoppelt mit dem Wunsch ihm den Schulbesuch in der Grundschule am Ort zu ermöglichen. Doch die Räder der Bürokratie, ausgehend von Schreibtischen auf denen der „Fall Jan“ mit der Aufschrift „Behinderung durch Gehörlosigkeit“ lag, drehten sich in Richtung Nein zur Einschulung Grundschule. Wie bitte, dachte ich als Pragmatikerin, er kann nicht hören? Also bitte, er hat über sechs Monate an dem Kinderkreativprojekt aktiv teilgenommen und das ging nur, weil er verstanden hat, was Satz für Satz, Seite für Seite vorgelesen wurde. Die Eltern baten mich um ein Buch für die Behörde und die Bestätigung, dass Jan an dem Projekt aktiv beteiligt war. Klar, das war das wenigste, was ich beisteuern konnte. Aber es war mir einfach zu wenig. Als ich mich mit dem Thema Gehörlosigkeit – insbesondere Kinder und Jugendliche auseinandersetzte - Ärzte und Betroffene befragte, wurde mir bewusst: Niemand kann es sich vorstellen, welche Kräfte notwendig sind um als Gehörloser oder schwer Hörender in unserer Welt der Hörenden zu bestehen. Die Eltern von Jan kontaktierten den Professor, der Jan operierte sendete ihm ein Buch und baten ihn um seine Einschätzung für die Einschulung. Aus diesem Projekt Kinderbuch wurde ein gemeinsames Ringen von Eltern, Erziehrinnen, meinem Mann und mir um Jans Einschulung!  Und es klappte durch eine Schulaufnahme zur Probe bis Weihnachten. Jan hatte Glück und bekam eine engagierte Lehrerin mit viel Einfühlungsvermögen! Ihr gilt meine Hochachtung, zumal sie sich massiv vor Jan stellte, als es zur Diskussion kam, ob Jan für die anderen Schüler und Schülerinnen eine Behinderung sei. Um dies gleich klarzustellen, es waren NIE die Kinder, die diesen Gedanken aufbrachten, sondern immer Erwachsene! Die Mitschüler von Jan wurden nicht vernachlässigt, im Gegenteil sie lernten Rücksichtsnahme und  dadurch wurde mit Sicherheit auch deren soziale Kompetenz gefördert. Jan wechselte ab der fünften Klasse in die Realschule. Längst steht auf seiner Schulakte nichts mehr außer seinem Namen, so wie eben bei allen anderen Kindern auch!